Es begab sich aber, dass auch in Schilda jeder Mensch eine erfüllende Arbeit haben sollte, die ihm ein gutes Leben ermöglichte. Man erzählte sich, in anderen Ländern gäbe es 100.000 Jobs in der Herstellung und Instandhaltung von Windmühlen und Solaranlagen. Das wäre toll, so gute Arbeit auch in Schilda zu haben!
Arbeit mit vier Wohlfühlfaktoren, sagten die Schildbürger: gut für Klima und Umwelt, gut für die Unabhängigkeit, gut für die Wertschöpfung, gut für die Zukunft. Überall wo sich zwei Schildbürger trafen, streckten sie vier Finger nach oben und lachten, die „4“ wurde zum Symbol für Fortschritt und Freiheit.
Schnell sagten allerdings der Bürgermeister und seine Günstlinge: „Das kann bei uns nicht funktionieren! Der Ausbau von Erneuerbaren Energien gefährdet die Arbeitsplätze in der Kohleindustrie! Deswegen müssen wir den Bau von Windmühlen mit allen Mitteln verhindern.“ Die Bürger von Schilda waren verunsichert, die vier Finger waren verschwunden.
Als allerdings das Klima immer heißer wurde und niemand mehr dreckige Kohle aus Schilda kaufen wollte, kam es, dass die Menschen immer weniger Arbeit hatten.
Und siehe da: Donner grollte, dunkle Wolken zogen herauf, die Schildbürger wandten sich ab und weinten bitterlich.
„Wir haben in den vergangenen Jahren aus Sachsen heraus das Gefühl gehabt, wir brauchen die Braunkohle noch lange. Deswegen waren andere Länder sehr viel eher dabei, Windkraft auszubauen. Jedes zusätzliche Windrad im Land schwächt die Situation der Braunkohle.“ [1]
Georg-Ludwig von Breitenbach, Vize-Chef der CDU-Fraktion am 21. Juli 2021 in einer Rede im sächsischen Landtag.
Kohle im Getriebe: Sachsen verliert den Anschluss an Zukunftsbranchen
In Sachsen gebe es eine Braunkohle-Tradition, aus der sich manche nur schwer lösen können. [2] So erklärte es Wolfram Günther (Grüne) im Februar 2022 gegenüber der ZEIT. Das Wochenblatt hatte beim sächsischen Umweltminister nachgefragt, warum der Ausbau der Windenergie im Freistaat so langsam vorangehe.
Nur ein einziges Windrad wurde 2021 neu errichtet, abgebaut wurden gleichzeitig elf. Laut sächsischem Koalitionsvertrag von 2019 müssten sich allerdings bis 2024 etwa 200 neue Windräder im Freistaat drehen.
Der Graben zwischen Anspruch und Wirklichkeit könnte größer kaum sein. Auch 2022 gibt es bisher keinen Anstieg bei den Genehmigungen für neue Windenergieanlagen. [3] Die Blockadehaltung zieht sich im Freistaat von der höchsten politischen Ebene bis zur untersten Genehmigungsbehörde. Zu lange hat man im „Energieland Sachsen“ auf die Braunkohle gesetzt.
Für den Arbeitsmarkt ist das fatal: Der Bergbau in Sachsen ist ein Auslaufmodell. Schon 2012 arbeiteten nur noch 3.000 [4] Beschäftigte in den Tagebauen oder Kraftwerken. Das waren über 90 Prozent weniger als 1991 |5], als die Kessel noch auf DDR-Temperatur brannten. Viele Kohlekumpel, die heute noch bei der Braunkohle in Lohn und Brot stehen, werden vor dem geplanten Ende der Kraftwerke 2035 in Rente gegangen sein.
Ob eine junge Generation von Windkumpeln in Sachsen eine Chance bekommt, ist fraglich. Deutschlandweit arbeiten etwa 100.000 Menschen direkt in der Windbranche. [6] Für das Nachbarland Brandenburg berechneten Wirtschaftsforscher von DIW Econ, dass die Windbranche im Jahr 2017 eine direkte und indirekte Bruttowertschöpfung in Höhe von 1,4 Milliarden Euro im Land erzielte. Damit schafft die Windenergie etwa 8.600 Arbeitsplätze.
Die Beschäftigten arbeiten beim Aufbau der Windparks, in der Herstellung von Maschinenteilen, als Elektrotechniker oder auch in einem der vielen Handwerksbetriebe, die für den Bau und reibungslosen Betrieb sorgen.
Wo der Wind weht, wächst die Wirtschaft
Inzwischen geht es aber nicht mehr nur um die direkten Arbeitsplätze an den Windmühlen oder Solarmodulen. Der Zugang zu erneuerbaren Energien ist ein wichtiger Standortfaktor: Wer bei der Ansiedlung neuer Industrien Chancen haben möchte, muss eine zuverlässige und klimafreundliche Versorgung sicherstellen.
Es ist kein Zufall, dass Tesla seine Gigafactory in Brandenburg und nicht im Autoland Sachsen gebaut hat. Auch der Chiphersteller Intel machte eine Versorgung mit Erneuerbaren zur Voraussetzung bei der europaweiten Standortsuche und investiert nun in Magdeburg. Jüngst hat der schwedische Batteriehersteller Northvolt bekannt gegeben, im energieinnovativen Schleswig-Holstein Batteriezellen fertigen zu wollen. Das geplante Werk wird 3.000 Arbeitsplätze schaffen, das Investitionsvolumen soll mehrere Milliarden Euro betragen. [7] Sachsen droht den Anschluss zu verlieren.
Stanislaw Tillich: Standortnachteil Braunkohle
Schon Stanislaw Tillich (CDU), Sachsens Ministerpräsident bis 2017, stellte den Förderwagen auf das Abstellgleis. Er erklärte 2012: Ohne heimische Braunkohle könne die Energiewende nicht gelingen, die „erneuerbaren Energien dürften nicht planlos ans Netz gehen, sondern im Schritttempo.“ [8]
In der Energiestrategie, die 2012 verabschiedet wurde und noch bis Mitte 2021 galt, hieß es, Braunkohle „hat das Potential, auch zukünftig als eine tragende Säule zu einer leistungsstarken Energiewirtschaft in Deutschland und Sachsen beizutragen. Die bekannten gewinnbaren Vorräte in Sachsen reichen (…) noch für mehrere Generationen.“ [9]
Auch nachdem die neue Regierungskoalition 2019 im Koalitionsvertrag einen engagierten Ausbau von Wind und Sonne zusicherte, passierte: nichts! Denn das CDU-geführte Ministerium für Raumplanung (Minister Thomas Schmidt) blockiert jede weitere Planung für Windstandorte unter anderem mit dem Streit um Mindestabstände.
Während Erneuerbare Energien in Sachsens Nachbarländern neue Industrieansiedlungen anlocken, gewinnt der Strukturwandel in Sachsen keine Fahrt. Sachsen könnte Energieland bleiben – aber nur mit Sonne, Wind und Co.
Quellen
[1] Vgl.: https://twitter.com/P4F_Leipzig/status/1418137329420668937
[2] DIE ZEIT, „Dieses Windrad ist etwas Besonderes“, 19.02.2022 https://www.zeit.de/2022/08/energiewende-sachsen-windrad-cdu
[3] Vgl. Fachagentur Windenergie an Land, Zubauanalyse Frühjahr 2022, https://www.fachagentur-windenergie.de/fileadmin/files/Veroeffentlichungen/Analysen/FA_Wind_Zubauanalyse_Wind-an-Land_Fruehjahr_2022.pdf. In Sachsen wurden im ersten Quartal 2022 2 neue Windenergieanlagen genehmigt, das sind weniger als noch im gleichen Zeitraum im Vorjahr.
[4] Ebda.
[5] Ebda. (Seite 22)
[9] Energie- und Klimaprogramm Freistaat Sachsen 2012, https://publikationen.sachsen.de/bdb/artikel/19813/documents/26773
[10] Vgl.: https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen/streit-cdu-gruene-sachsen-ausbau-windkraft-100.html