Es begab sich aber, dass die Bürger von Schilda günstig Energie aus dem Wind ernten wollten. Sogleich setzten sich die fleißigen Schildbürger hin und machten Pläne, wo die Windmühlen am besten stehen sollten. Dort sollte nämlich ausreichend Wind wehen und Menschen und Tiere sollten möglichst wenig durch das Drehen des Windrades gestört werden.
Alle Bürger von Schilda waren eingeladen, ihre Ideen und Vorschläge einzubringen. Und Orte, die gut für die Windernte geeignet waren, markierten sie auf einer Karte mit dem Symbol einer Windmühle. Als der Bürgermeister die Karte betrachtete, verkündete er stolz: In wenigen Jahren wird die Ernte aus Wind reich sein.
Die Schildbürger waren sehr stolz auf ihre Karte! Und darauf, dass sie so gute Pläne machen konnten. Deswegen planten sie gleich weiter: Überall dort, wo Windmühlen gebaut werden sollten, könnten ja noch weitere Dinge entstehen! Was wäre, wenn man einen Friedhof planen würden, auf dem sich alle Bürger aus Schilda begraben lassen konnten. Kaum war ihnen die Idee gekommen, bauten sie den größten Friedwald des Landes, der für 100 Dörfer ausreichte. Nun konnten hier allerdings keine Windmühlen mehr gebaut werden.
Auch andernorts planten die Schildbürger so begeistert, dass sie den Bau neuer Windmühlen ganz vergaßen. Erst als an dunklen Abenden die Glühbirnen nicht mehr brannten, ärgerten sich die Schildbürger über ihren neuen Friedhof. Viele junge Familien, die noch wenig über den Tod nachdachten, verließen Schilda mit ihren Kindern.
Und siehe da: Donner grollte, dunkle Wolken zogen herauf, die Schildbürger wandten sich ab und weinten bitterlich.
„Mit dem Bau des Waldfriedhofes wollen wir uns weltoffen zeigen und für alle Bürger auch nach ihrem Tod da sein.“ [1]
Sascha Thamm, Bürgermeister von Neukirchen
Wie Sachsen den Bau neuer Windräder verhindert
Neukirchen liegt südwestlich von Chemnitz. Am westlichen Rand der Gemeinde, auf einem Feld nahe der Autobahn, plant die Firma Sabowind eine Windenergieanlage. Im Frühjahr 2021 prüft das Landratsamt im Erzgebirgekreis, ob es für das Bauvorhaben grünes Licht geben kann. Der positive Bescheid stehe wohl kurz bevor. [2]
Soweit kommt es allerdings nicht: Am 26. Mai erlässt die Gemeinde Neukirchen eine sogenannte Veränderungssperre: Damit hat sie erst einmal die Hand auf dem Gebiet, gebaut werden kann hier nichts mehr. Nachdem so der Bau der Windenergieanlage gestoppt ist, plant die Gemeinde nun, just auf dieser Fläche einen Friedwald anzulegen – auf dem Acker nahe der Autobahn. [3]
Der geplante Friedwald soll Platz für 12.000 Gräber bieten, dreimal mehr als der Ort Einwohner hat. [4] Andreas Morgenroth, Vorsitzender des Dachverbandes der Friedhofsvereine, zweifelt am Sinn des Projekts: „Neukirchen ist verpflichtet, einen Friedhof vorzuhalten, der bestattungskulturellen Traditionen entspricht“, erklärt er gegenüber der Freien Presse. [5] Einen solchen Friedhof gibt es in Neukirchen bereits. Ein parallel-Friedhof könne sich negativ auf den vorhandenen Friedhof auswirken. Morgenroth erklärt daher gegenüber der Freien Presse, dass er aus Erwägungen des Allgemeinwohls dazu rate, von diesem Projekt abzusehen.
Trendsport Verhinderungsplanung: Sachsen liegt vorne
Das Beispiel Neukirchen ist sicherlich extrem. Und natürlich eine Steilvorlage für unsere Schildbürgergeschichten: Sachsen beerdigt die Energiewende! Aber Neukirchen ist in Sachsen kein Einzelfall. „Verhinderungsplanungen haben sich in sächsischen Gemeinden zu einem strategischen Instrument entwickelt, um Windprojekte zu verhindern“, erklärt Martin Maslaton, Fachanwalt für Energierecht. Mal weist eine Gemeinde, deren Einwohnerzahl sinkt, Flächen für neue Wohngebiete aus – just im Windeignungsgebiet. Oder der Aufstellungsbeschluss für ein Gewerbegebiet, das nie gebaut wird, blockiert einen Vorrangstandort für Windenergieanlagen. Ein andermal werden Ausgleichspflanzungen für den Bau einer Autobahn genau dort umgesetzt, wo eine Windenergieanlage entstehen sollte. [6]
In ihrer Reportage „Warum ist Sachsen Schlusslicht beim Windkraft-Ausbau“ [7] trifft der MDR genau auf diese Beispiele der Verhinderungsplanung. Laut MDR werden aktuell in sieben sächsischen Gemeinden Verfahren wegen Verhinderungsplanung geführt. Zum Vergleich: in Brandenburg sind es gerade einmal zwei. [8]
Regierung und Regionalplanung: Vorbild beim Verhindern
Es sind in Sachsen allerdings nicht nur die Gemeinden, die sich mit Händen und Füßen gegen Windräder wehren. Im Koalitionsvertrag von 2019 hat die sächsische Landesregierung beschlossen, ca. 200 neue Windenergieanlagen bis 2024 zu errichten.
- Um seine eigenen Ausbauziele und die Vorgaben vom Bund zu erreichen, müsste Sachsen etwa 2 Prozent seiner Landesfläche für Windenergie ausweisen. Aktuell sind es gerade einmal 0,2 Prozent.
- Nach dem Koalitionsvertrag 2019 brauchte das Land zwei Jahre, bis es Mitte 2021 einen neuen Energie- und Klimaplan vorlegte – bis dahin orientierte sich die Regionalplanung an den überholten Vorgaben aus der Energiestrategie von 2012. Dadurch ist wertvolle Zeit verlorengegangen.
- Das Ministerium für Raumplanung unter Thomas Schmidt (CDU) blockierte bis ins Frühjahr 2022 jede weitere Windplanung mit einem Streit um Mindestabstände, die zwischen Windenergieanlagen und Wohnbebauung gelten sollen. Die 1.000 Meter, die nun beschlossen sind, bieten kaum Möglichkeiten, um auf individuelle Gegebenheiten vor Ort einzugehen.
Bei der Regionalplanung leistet sich Sachsen „Sonderregelungen“, die den Ausbau der Windenergie verhindern sollen. So gibt es eine Regelung, dass der Abstand zwischen zwei Vorrang- und Eignungsgebieten für Windenergie mindestens 5 km betragen muss. Dies soll eine optische „Umzingelung“ von Siedlungen durch Windparks verhindern. Die geforderten fünf Kilometer sind auch dann einzuhalten, wenn die Windenergieanlagen von der Siedlung aus nicht zu sehen sind, weil sie durch einen Hügel oder einen Wald verdeckt werden. Eine Einzelfall-Prüfung, die ein Abweichen von der 5 km-Regelung erlauben würde, ist nicht vorgesehen. Damit entfallen geeignete Standorte für Windparks.
Die politische Verhinderungsverwaltung ist in Sachsen tief verwurzelt: Das fehlende Engagement der Regierung wird auch von den Fachplanern auf regionaler und kommunaler Ebene oft so verstanden, dass sie keinen Rückhalt zu erwarten haben, wenn sie sich für erneuerbare Energien einsetzen. Das führt zu einer kritischen Grundhaltung gegenüber der Windenergie und damit zu einer restriktiven Auslegung von Entscheidungsspielräumen.
Während Erneuerbare Energien in Sachsens Nachbarländern wie Brandenburg oder Sachsen-Anhalt neue Industrieansiedlungen anlocken, blockiert Sachsen den Ausbau der Windenergie. Sachsen könnte Energieland bleiben – aber nur mit Sonne, Wind und Co.
Quellen
[2] Vgl. Freie Presse, Waldfriedhof oder Windrad: Streit um Fläche in Neukirchen https://www.freiepresse.de/chemnitz/waldfriedhof-oder-windrad-streit-um-flaeche-in-neukirchen-artikel11604340?ref=regmail
[3] Freie Presse, Waldfriedhof oder Windrad: Streit um Fläche in Neukirchen https://www.freiepresse.de/chemnitz/waldfriedhof-oder-windrad-streit-um-flaeche-in-neukirchen-artikel11604340?ref=regmail
[4] Neues Deutschland, „Don Quichotte kämpft mit dem B-Plan“, https://www.nd-aktuell.de/artikel/1158450.windkraft-in-sachsen-don-quichotte-kaempft-mit-dem-b-plan.html
[5] Vgl. Freie Presse, Waldfriedhof oder Windrad: Streit um Fläche in Neukirchen https://www.freiepresse.de/chemnitz/waldfriedhof-oder-windrad-streit-um-flaeche-in-neukirchen-artikel11604340?ref=regmail
[6] Vgl. VEE Sachsen: Brandbrief zum Ausbau der Windenergie in Sachsen https://www.vee-sachsen.de/artikel/vee-brandbrief-zum-ausbau-der-windenergie-sachsen
[7] Vgl. MDR, „Warum ist Sachsen Schlusslicht beim Windkraft-Ausbau“ https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen/windkraft-ausbau-sachsen-stagniert-100~amp.html
[8] Vgl. Warum ist Sachsen Schlusslicht beim Windkraft-Ausbau? https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen/windkraft-ausbau-sachsen-stagniert-100~amp.html